(wie kann man eigentlich an einer reinen Absitzveranstaltung mit sehr großem "Premium"- Erfolg teilnehmen ... ? :D )
Kürzlich hat mir jemand im Theorieunterricht erklärt, wie er zu seinem Klasse B- Führerschein kam. Während er ein Jahr lang in Colorado lebte, beantragte er eines Morgens die Zulassung zur Führerscheinprüfung, am Mittag bestand er ohne Vorwissen einen Theorietest, am Nachmittag nahm er zwei Fahrstunden und fuhr im Anschluss daran mit einem Prüfer um den Häuserblock. Nach etwa neun Stunden und Ausgabe von insgesamt ca. 200,- $ hielt er eine amtliche Fahrerlaubnis in den Händen, die nach seiner Heimkehr in Deutschland problemlos in einen regulären inländischen Führerschein der Fahrerlaubnisklasse B umgeschrieben wurde.
Diese Praxis des hinterhergeworfenen Führerscheinerwerbs kann entweder begrüßt werden mit dem Argument, auf diese Weise werde der natürlichen Eigenverantwortung Rechnung getragen, -- oder verurteilt werden als eine die Verkehrssicherheit grob gefährdende Verantwortungslosigkeit.
Fakt ist, dass es beispielsweise in den USA eine wesentlich höhere relative Zahl von Verkehrstoten gibt, als bei uns, obwohl unser Straßenverkehrsaufkommen nicht weniger hoch ist. Es gibt im Vergleich zu Deutschland überhaupt viele Länder weltweit mit einer wesentlich geringeren Regelungsdichte. Doch herrscht dort entweder ein recht überschaubares Verkehrsgeschehen, oder es werden zahlreiche Schädensfälle einfach billigend in Kauf genommen. In manchen "unzivilisierten" Staaten weist ein Verkehrstoter nicht unbedingt die Bedeutung eines nennenswertes Unglücksereignisses auf, sondern vielmehr veranlassen solche Kollateralschäden nach dortiger gewohnheitsrechtlich anerkannter Verkehrssitte zum schnellstmöglichen Verlassen des Unfallortes, um nicht von den Verwandten des Opfers -- ebenso gewohnheitsrechtlich anerkannt -- gelyncht zu werden.
Wir hier in unserem kleinen Land haben uns für weniger zugetraute Verantwortung und mehr Regeln entschieden. Würde sich jeder Verkehrsteilnehmer nur an § 1 Absatz 1 und 2 unserer StVO halten, bräuchten wir gar kein -- überhaupt kein ! -- weiteres Regelwerk (abgesehen von ein paar Gefahrzeichen). Doch die Realität in Sachen Rücksichtnahme sieht bislang noch etwas anders aus, wie jeder von uns zumeist täglich zu erleben hat. Also führt bei uns als eine Konsequenz dessen auch kein Weg um eine zwar teure, dennoch für die Verkehrssicherheit unabdingbare Fahrschulausbildung vorbei, um fundiert Wissen vermittelt zu bekommen und nicht gleich beim ersten oder zweiten Linksabbiegen unter anspruchvolleren Bedingungen irgendwelche Leute in´s Jenseits zu befördern.
So eine echte Fahrschulausbildung kostet echt viel Geld -- aber sie kann echt viel Schaden verhüten. Eine Investition also, die sich lebenslang auszahlen wird, und die ich persönlich lieber nicht mittels eines billigen Auslands- Dokumentes einsparen wollen würde.
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--- I N M E M O R I A M ---
"jaaanz entspannt!"
Lieber Ralph -- wir vermissen Dich und werden Dich nicht vergessen. Und "wir" sind ziemlich viele, wie Du vielleicht am Tag der Beerdigung gesehen hast. Die kleine Kapelle war viel zu klein, in den Straßen rundum überall Fahrschulwagen, mindestens 100 Leute waren da, um Dir die letzte Ehre zu erweisen und Deiner verweinten Familie zu kondolieren. Wie im Mafia- Film, nur ganz ohne Mafia, dafür mit redlichen Tränen.
Vieles habe ich von Dir gelernt, vieles Dir zu verdanken. DANKE für Dein mögens- wie liebenswertes Mensch-Sein. Du warst uns nicht irgendein Fahrprüfer, Du warst ein freundschaftlicher, sachkundiger Begleiter.
Jetzt brauchst Du keine Prüfungsrichtlinien und Formulare mehr, übrigens auch keine teuren Tickets -- Du kannst endlich alle Länder der Welt bereisen ganz ohne umständliche Kreuzfahrtschiffe.
Vielleicht sehen wir uns wieder, wenn meine Plakette abgelaufen ist.
Ruhe in gesegnetem Frieden.
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ps.
Bitte merken : Deine Fahrschule ist für D I C H da -- und nicht etwa bist Du, der Du vor jeder Fahrstunde arglos den Kohleberg auf den Tisch legst, das Zurechtweisungs- und Genervtheitsopfer Deines Herrn Oberfahrlehrers.
--> Wenn's Dir zu blöd wird : wechsle !
pps.
Als Abschiedsgeschenk an meine Zeit als Vollzeit- Fahrlehrer hatte ich 2016 ein Buch geschrieben, das mir in zukünftigen Teilzeit- Fahrstunden viel Rede- Arbeit ersparen und den FahrschülerInnen bessere Vorbereitung ermöglichen sollte. Ein seriöser Verlag wollte das Buch natürlich nicht drucken, aber immerhin stand es 2018 / 2019 monatelang auf Platz 1 der Amazon- Buchbestsellerliste in der Kategorie "Verkehr". Bis andere Autoren auf die Idee kamen, ihre Koch- Ebooks zum Zwecke besseren Rankings absichtlich in wenig frequentierte Kategorien wie etwa "Reichsgründung" oder eben "Verkehr" einzutragen ...
Abgesehen davon fiel mir irgendwann auf, dass ich mit jedem von Amazon verkauften Buch direkt zur Marginalisierung des stationären Buchhandels sowie nationalen Buchverlagswesens beitrage und Amazon auch durch meinen Beitrag noch größer wird; ob wir das perspektivisch wirklich begrüßen sollten, sei bezweifelt. Letztlich deaktivierte ich den Titel, ganz gelöscht bekommt man ihn nicht mehr, denn auch Amazon vergisst nichts.
Naja, das Buch ist heut Geschichte, aber ich erinnere mich gern an dieses unverhoffte Geschenk und versäume selbstverständlich nicht, jedem Passanten auf der Straße davon zu erzählen :D
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Zur Geschichte des Vertrauensgrundsatzes im Straßenverkehr
In der Straßenordnung für den Stadtkreis Berlin von 1899 idF. vom 22.07.1908 finden sich zahlreiche Anordnungen zu Bauart und Kennzeichnung, Beleuchtungspflicht, Beladung, Durchfahrt- und Parkverboten, Vorrang beladener Gespannfuhrwerke, Rechtsfahrgebot und vielem mehr, jedoch kein Hinweis auf irgendeinen Grundsatz, ein Berechtigter habe (nicht) mit anderweitigem Fehlverhalten zurechnen bzw. darauf Rücksicht zu nehmen. Zumindest Rücksichtnahmen wurden vereinzelt gefordert in Bezug auf Pferde, Kranke, Gottesdienste oder geschlossene Verbände
Die Verordnung für den Kraftfahrzeugverkehr idF. vom 28.07.1926 bestimmte erstmals reichseinheitlich Verkehrszeichen, Vorfahrtregelungen, Schritttempo beim Überholen von Straßenbahnen und andere Novitäten. Vom Vertrauensgrundsatz keine nennenswerte Spur.
In AD. Königs „Kraftfahrlehre“, 11.A von 1928, damals einer Art Mercedes der Lehrbücher, findet sich auf S. 290, 291 immerhin :
„Der Fahrer mäßige die Geschwindigkeit erheblich beim Herannahen an belebte Straßenkreuzungen … besonders beobachte man die in der Fahrtrichtung auf dem Bürgersteig gehenden Personen, da solche oft gedankenlos auf den Fahrdamm treten … aus der Straßenbahn Aussteigende versäumen oftmals, die Straße vorher zu überblicken und laufen blind in den vorbeifahrenden Wagen hinein.“
Andererseits findet sich aaO auf S. 293, 294 auch folgender Gedankengang bezüglich eines beispielhaft einen „Autobus“ überholenden Wagens : „Der Zusammenstoß [beim Wiedereinscheren nach Überholen] kann aber … entstehen, dass der Autobusfahrer seine Fahrgeschwindigkeit während des Überholens … erhöht …, womit natürlich der Fahrer des [Wagens] nicht rechnet und nicht zu rechnen braucht. Wenn er einen anderen Wagen einmal überholt hat, so hat er keine Veranlassung uns Verpflichtung, sich nach hinten umzusehen, sondern er kann damit rechnen, daß nun der hinter ihm bleibende mindestens seine Fahrgeschwindigkeit … einhält.“
Auf S. 323 wird hingegen gefordert ein „Blick für den Verkehr“. Damit sei gemeint, „… der Erfahrene … rechnet damit, dass schwere Lastwagen falsch … abbiegen, … ein unvorsichtiger Fuhrmann schnell herausfährt, … Er beobachtet jeden an der Bordsteinkante weilenden Menschen, mit der Möglichkeit rechnend, derselbe könnte noch die Straße überschreiten …“ Die Fußgänger werden gemahnt, viele Unfälle entstünden durch deren „planloses Benehmen“, „Unerzogenheit und Leichtsinn“. Ergänzt wird insbesondere, in „London und Amerika wird bei einem Verkehrsunfall, der durch Überschreiten der Straße an anderen als den bestimmten Stellen hervorgerufen worden ist, der Wagenlenker von jeder Schuld ledig gesprochen, und der Verletzte hat keinen Anspruch auf Schadenersatz“ (aaO S. 329, 330).
1931 erschien Dr. Fritz Müllers „Automobilgesetz“ in siebenter Auflage. Darin gibt er vor § 15 auf S. 586 ff. einen durchaus wechselhaften Überblick damals aktueller Rechtslage in Sachen Rücksichtnahme, Vorhersehbarkeit und Mithaftung als
„Beispiele der Rechtsprechung für die Anforderungen an die Führersorgfalt :
RG. v. 4.6.17, Recht 1917 Nr. 1900: Der klaren Bestimmung des § 18 …[angepasste Geschwindigkeit] genügt es nicht, wenn der Führer sich vor der Straßenkreuzung auf die Abgabe von Warnzeichen beschränkte, ohne die Geschwindigkeit zu ermäßigen …
KG. v. 7.2.1929, 3.S.872,28: Die Pflicht des Führers, mit unrichtigem Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer zu rechnen, besteht nur da, wo ein besonderer Anlass in Betracht kommt, nur (KG 12.5.28, RdK. 1929, 288): ‚unter Umständen‘ …
Dresden, 2.1.29, RdK. 287: Nicht nur die eigene, sondern auch die übrige Fahrbahn rechts und links und die Fußsteige müssen fortgesetzt beobachtet werden …
Hamburg, 12.1.28, Deutsches Autorecht Nr. 4 S.8: Die Pflicht des Führers, mit unsachgemäßem Verhalten anderer zu rechnen, geht aber nicht so weit, daß er ständig damit rechnen müßte, daß von allen Seiten Personen oder Fahrzeuge grob fahrlässig in seine Fahrbahn kommen …
Hamburg, 2.7.28, DAR 1929, 397: Der Führer muß überall mit Verstößen anderer gegen die Verkehrsregeln rechnen …“
In der zusammenfassend neuen Verordnung über das Verhalten im Straßenverkehr (StVO) vom 13.11.1937 wird zwar noch vor § 1 als Motiv angeführt, die „… Förderung der Motorisierung ist das vom Führer und Reichskanzler gewiesene Ziel“, gleichwohl aber auch, eine „… echte Gemeinschaft aller Verkehrsteilnehmer einschließlich der Fußgänger im Interesse einer nachhaltigen Besserung der Verkehrsdisziplin …“ herstellen zu wollen. Daran schließt der neuartige § 1 (1934 stand dessen erstmals so gefasster Inhalt noch unter § 25) an, der – im Wesentlichen vom Wortlaut her kaum verändert bis heute – als nunmehr eine Art Präambel der StVO bestimmt, jeder „Teilnehmer am öffentlichen Straßenverkehr hat sich so zu verhalten, dass der Verkehr nicht gefährdet werden kann; er muss ferner sein Verhalten so einrichten, dass kein Anderer geschädigt …“ werde.
Vor diesen Hintergründen spricht Dr. Fritz Müller, „Straßenverkehrsrecht“, 19.A. von 1955 auf S. 677 von einer seit 1937 ausdrücklich kodifizierten „Verantwortung des einzelnen gegenüber der Verkehrsgemeinschaft“. Und ferner : „Die Rechtslage ist hiernach: Jedem Verkehrsteilnehmer wird in § 1 ein Verhalten zur Pflicht gemacht, bei dem nach Lebenserfahrungen und Umständen das Eintreten … vom Gesetz missbiligte[r] Erfolge vermieden wird“ (aaO, S 696). Also Generalpflicht der Unfallverhütung und typisches Fehlverhalten anderer einkalkulieren, würde man heute in der Fahrschule sagen.
Abschließend zu unserem Thema findet sich aaO auf S. 676 folgende Passage :
„Die Rechtsprechung konnte sich der Einsicht nicht entziehen, dass sie sich mit Inkrafttreten der RStVO, 01.10.1934 [gemeint dessen § 25, s.o.] abwenden muss von … Auffassung …, es würden die verschiedenen Verkehrsarten unbegründet ungleichmäßig behandelt. Nunmehr galt der Satz, jeder Verkehrsteilnehmer muss sein Verhalten von vornherein so einrichten, dass niemanden schädigt … Insbesondere muss jeder sein persönliches Bestreben … zurückstellen hinter die Beachtung der allgemeinen Verkehrssicherheit …“ mwN. Und weiter : „Dieser Verpflichtung verantwortungsbewussten Verhaltens eines jeden steht entsprechende Entlastung der Verkehrsteilnehmer im Hinblick auf verkehrswidriges Verhalten des anderen, des Geschädigten, gegenüber.“ Das soll wohl auf § 254 BGB anspielen.
Zuletzt dann : „Jeder kann sich (außer bei besonderer, aus den Umständen ersichtlicher anderer Möglichkeit …) darauf verlassen, dass sich die anderen verkehrsmäßig verhalten … ‚Vertrauensgrundsatz‘ *Martin, DAR 53, 164; BGH 5.11.53, 4 StR 521.53“
OT
Was ich nebenbei übrigens auch in Müllers Verkehrsrecht fand : Einen Abdruck der 1955 noch aktuellen „Richtlinien über die Durchführung von Verkehrskontrollen“ als Teil polizeiamtlicher Dienstanweisungen von 1939. Darin heißt es im Hinblick auf Radfahrer :
„Ein besonderes Augenmerk ist auf die Kontrolle des Radverkehrs zu richten. Das gilt auch für die Beleuchtung. Gegen Verstöße ist mit den strengsten Maßnahmen durchzugreifen. Die Bestrafung oder Verwarnung der schuldigen Fahrer wird nicht ausreichen … deshalb die Fahrräder … einstweilen sicherzustellen und frühestens am nächsten Tage … wieder auszuhändigen …“